Es lebe der Konjunktiv I – für einen glänzenden Text!

konjunktiv I

Kennen Sie die drei am schwierigsten auszusprechenden Wörter im Deutschen?
3. Streichholzschächtelchen
2. Desoxyribonukleinsäure
1. Konjunktiv I

Haaalt! Bevor Sie jetzt aus diesem großartigen Blog Reißaus nehmen: Ja, es geht heute um den Konjunktiv I und damit ein wenig grammatisch zu, aber sie erhalten hier verblüffend einfach zu merkende Tipps dazu, wann, wo und wie Sie den Konjunktiv I RICHTIG gebrauchen. Denken Sie daran, ein Text ist wie ein Diamant: Je weniger verunreinigende Einschlüsse er enthält, desto funkelnder und kostbarer ist er. Und dahin wollen wir ja kommen: zu GLÄNZENDEN TEXTEN, die sich von stumpfer Allerweltsware abheben!

1. Der Konjunktiv I – Wofür gebraucht?

1. Indirekte Rede 

Der Konjunktiv I als Verbform dient im heutigen Deutsch vorrangig dazu, zu kennzeichnen: Achtung, hier gebe ich etwas wieder, was andere denken, sagen, meinen, fühlen. Wir nennen das auch indirekte Rede.

Der Vorstand betont/betonte, dass er keinen Mitarbeiter unwissend lasse.

Die Mitarbeiterin erklärt/erklärte, sie habe davon nichts gewusst. Jetzt sei sie furchtbar enttäuscht von der Informationspolitik des Unternehmens.

2. Wünsche, Möglichkeiten

Diesen Spruch kennen Sie vielleicht auch noch von der So-diszipliniert-habe-ich-nie mehr-gegessen-Runde aus Kindergartentagen: 😉

Ein jeder esse was er kann, nur nicht seinen Nebenmann.  

Später heißt es dann:

Er möge lange leben!

3. Vermutung, Forderung, Befürchtung 

Diese Funktion hängt natürlich eng mit Punkt 2 zusammen, da ja vor allem Forderungen und Befürchtungen noch nicht real sind, sondern erst einmal nur Möglichkeiten. 

Die Demonstranten forderten, dass die Lebensmittelverschwendung aufhöre.

Er ahnte schon, dass aus den eigenen Reihen Kritik kommen werde.

2. Der Konjunktiv I – Seine Form und der (verflixte) Zwilling Konjunktiv II

Sicherlich haben Sie bei den genannten Beispielen bemerkt, dass sich die Konjunktiv I-Form unterscheidet von der normalen Verbform, dem sog. Indikativ:
lässt --> lasse, hat --> habe, ist --> sei, wird --> werde, isst --> esse, mag --> möge
Das ist aber fast ausnahmslos nur bei der 3. Person Singular (er, sie, es, man) der Fall.
Und beim Verb sein: ich bin/sie ist/wir sind/sie sind --> ich sei, sie sei, wir seien, sie seien

Ansonsten sind die Verbformen meistens nicht als Konjunktiv I erkennbar, denn sie sind identisch mit dem Indikativ. Das ist vor allem dann der Fall, wenn wir die personale Pluralform ("sie") benutzen:

Die Projekt-Mitarbeiter teilten mit, sie haben den ganzen Abend über das neue Marketing beraten. Jetzt freuen sie sich auf's Bett. Morgen früh werden sie sich pünktlich wieder an die Arbeit machen. 

Um nun  zu verdeutlichen, dass es sich um die Wiedergabe  von Gesagtem – und nicht um eine Feststellung des Schreibers! – handelt, benutzen wir für die personale Pluralform den Konjunktiv II (ja, da ist er endlich! ;-)):

Die Projekt-Mitarbeiter teilten mit, sie hätten den ganzen Abend über das neue Marketing beraten. Jetzt freuten sie sich auf's Bett. Morgen früh würden sie sich pünktlich wieder an die Arbeit machen. (Hoffentlich!)

Jetzt ist klar, dass alle Informationen aus dem Munde der Projekt-Mitarbeiter stammen. 

Moment, werden Sie sagen, die Verbform "freuten" als Konjunktiv II ist doch identisch mit der normalen Vergangenheitsform (Präteritum) vom Verb "freuen". Stimmt genau. Den Fall haben wir bei allen schwachen Verben wie beispielsweise "freuen" und "machen".
Bei starken Verben gibt es dagegen Unterschiede in der Form, der Konjunktiv ist leicht erkennbar. Beispiele: sie haben/werden/kommen --> sie hätten/würden/kämen 

Wollen wir den Konjunktiv II bei den schwachen Verben für die personale Pluralform nun eindeutig markieren, müssen wir ihn mit "würden" umschreiben: 
Jetzt würden sie sich auf's Bett freuen. Und: Morgen früh würden sie sich pünktlich wieder an die Arbeit machen (statt: Morgen früh machten sie sich pünktlich wieder an die Arbeit.)

Puuh! –Ja, gebongt, aber bitte noch nicht aufgeben! Jetzt kommt noch ein wichtiger Teil für alle Textenden. Dann haben Sie's geschafft! Versprochen. 🙂

3. Der Konjunktiv I – in Umgangssprache
    und Schriftsprache

1. Die Umgangssprache

In der Umgangssprache kommt der Konjunktiv I kaum noch vor. Hier wird generell, auch für die 3. Person Singular, der Konjunktiv II oder die "würde"-Form verwendet, auch dann, wenn es eine eindeutig unterscheidbare Konjunktiv I-Form gibt:

Umgangssprachlich: Er hat gesagt, er würde noch arbeiten.
                                      Er hat gesagt, dass er noch arbeiten würde.

Standardsprachlich: Er hat gesagt, er arbeite noch.
                                     Er hat gesagt, dass er noch arbeitet/arbeite. (Bei indirekter Rede im dass-Satz ist der Konjunktiv möglich, aber nicht zwingend notwendig.)

Was aber, fragen Sie sich als Texter zu Recht, ist nun in der geschriebenen Sprache notwendig? Das erfahren Sie jetzt.

2. Die Schriftsprache (Standardsprache)

In der geschriebenen Sprache wird grundsätzlich der Konjunktiv I benutzt, wenn sich die Form vom Indikativ unterscheidet. Sie ist, wie Sie sicherlich schon bemerkt haben, in der 3. Person Singular immer am Endungs-e erkennbar:
er arbeitet --> er arbeite
man will gut leben --> man wolle gut leben
sie hat mit ihm gesprochen ---> sie habe mit ihm gesprochen

Wenn es keine unterscheidbare Form gibt, wie etwa bei der Pluralform, dann darf die Konjunktiv II-Form benutzt werden: 

die Teilnehmer wissen --> die Teilnehmer wüssten

Ist die Konjunktiv II-Form dann aber mit dem Präteritum identisch, wie wir das bei den schwachen Verben "freuen" und "machen" gesehen haben, dann darf die "würde"-Form verwendet werden:

sie arbeiten --> sie arbeiten (Konjunktiv I identisch mit Indikativ Präsens) --> sie arbeiteten (Konjunktiv II identisch mit Indikativ Präteritum) --> sie würden arbeiten

Fazit:

Der Konjunktiv I darf standardsprachlich nur dort durch die Konjunktiv II- oder die umgangssprachliche "würde"-Form ersetzt werden, wo die Konjunktiv I-Form und der Indikativ gleich sind, wie wir oben gesehen haben:
 
Sie sagten, sie freuen/freuten sich. --> Sie sagten, sie würden sich freuen. 

So, wie schreiben Sie jetzt diesen Satz: "Er sagte, er fr... sich. Na? Richtig: Er sagte, er freue sich.  Und diesen? Herr Schmitz: "Ich habe mich gefreut. Und die anderen Teilnehmer sagen das gleiche." --> "Herr Schmitz sagte, er ... Und die anderen Teilnehmer ... ." Das kriegen Sie hin, da bin ich sicher. 🙂

So, wir sind nun durch, Sie dürfen aufatmen! Zugegeben: Zum Konjunktiv I (und erst recht zum Konjunktiv II) gibt es noch so einiges zu sagen, das würde aber hier den Blog-Rahmen sprengen (warum nicht "sprengte"? Auch darauf wissen Sie sicherlich jetzt die Antwort!).
Tabellen mit den Formen finden Sie beispielsweise hier.

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Über die Autorin Dr. Gabriele Frings

Als Schreibcoachin, Trainerin, Textberaterin, Dozentin helfe ich Ihnen, einen 100%ig ansprechenden Schreibstil zu entwickeln und in Beruf und Business erfolgreich zu sein.

  • Reinhard Hager sagt:

    In einem Verein für suchtkranke Menschen mußte ich quasi im Imperativ ganz kurze Sätze schreiben, weil diese Personen sonst mit meinen Anweisungen nicht klarkamen. Im öffentlichen Dienst nun wird eher im doppelten Konjunktiv (könnten sie möglicherweise xxx) schreiben, für mich eine totale Veränderung.

    • Dr. Gabriele Frings sagt:

      Hallo Herr Hager,
      das kann ich gut verstehen, eine gewaltige Umstellung, die Sie da stemmen. Ja, der Konjunktiv II wird auch für höfliche Formulierungen genutzt: Könnten Sie …/Möchten Sie …/Hätten Sie …/Wären Sie … Von einem ‚doppelten‘ Konjunktiv halte ich persönlich nicht viel, bringt er doch einen stark zögerlichen Unterton in die Mitteilung. Und verunsichert im Extremfall gar den Leser. Ein „bitte“ allerdings ist immer angebracht, selbst beim Konjunktiv. 🙂
      Viele Grüße
      Dr. Gabriele Frings

      • Was ist mit dem Unwort „zögerlich/en“ gemeient? Zögern? Langsam?
        Horst Kottenhagen

        • Dr. Gabriele Frings sagt:

          Hallo Herr Kottenhagen,
          „zögerlicher Unterton“ meint hier einen Ton des Zögerns, der Entschlusslosigkeit, kurz: Er/Sie/Es getraut sich nicht, Klartext zu schreiben und versteckt sich hinter Höflichkeitskonjunktiv plus zurücknehmendem zusätzlichem Adverb. Das verunsichert wiederum den Leser. Aber: Warum bezeichnen Sie das Adjektiv als „Unwort“?
          Viele Grüße
          Dr. Gabriele Frings

  • Manuel Selbach sagt:

    Ich beschäftige mich ja gerne damit, aber manchmal kommt mir unsere Sprache dann doch trocken vor wie ein Esslöffel Zimt. 😉

    • Dr. Gabriele Frings sagt:

      Hallo Herr Selbach,
      ja, manchmal wünscht man sich ein wenig Honig dazu, damit die Grammatikregel besser rutscht. Aber gerade durch Ihre Regeln und Eigentümlichkeiten ist die deutsche Sprache so herrlich flexibel, anpassungsfähig und einfach wunderbar! 🙂 Und die Regeln haben ja auch Ihren Sinn – für eine missverständnisfreie Kommunikation, siehe oben.
      Genießen Sie einfach unsere Sprache – und wenn es allzu trocken wird, mit einem guten Glas von Ihrem Lieblingsgetränk! 😉
      Viele Grüße
      Dr. Gabriele Frings

  • Sandra Pütz sagt:

    Hallo Frau Dr. Frings,
    als Teilnehmerin Ihres Online-Kurses habe ich ja schon so viel zum Thema lebendiges Schreiben gelernt. Und wende es fast täglich an. Auch durch Ihre Blogartikel lerne ich jedesmal noch dazu. Vielen Dank!
    Herzliche Grüße
    Sandra Pütz

    • Dr. Gabriele Frings sagt:

      Liebe Frau Pütz,
      das freut mich sehr. Ich wünsche Ihnen weiterhin allerhand kreative Freude beim Texten!
      Viele Grüße
      Dr. Gabriele Frings

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